Gauloises-Pilot Sperrer: Rückblick auf Dakar
- Geschrieben von Dirk Hartung
- Kategorie: Rallye Raid (Langstrecke)
- Zwei Wochen nach seinem Ausfall bei der Rallye Lissabon-Dakar
- Gauloises-Pilot Sperrer blickt im Interview zurück – und nach vorne
Die 29. Ausgabe der längsten und härtesten Rallye der Welt, der Rallye Lissabon-Dakar, ist gelaufen: Am vergangenen Sonntag trafen all jene Helden im Ziel in Dakar ein, die den rund 9.000 Kilometer langen Weg vom äußersten Westen Europas bis weit hinunter nach Westafrika überstanden haben. Stephane Peterhansel feierte einen großartigen Sieg, für ihn war es der neunte Triumph, für seinen Arbeitgeber Mitsubishi der zwölfte Erfolg. Mit Martin Freinademetz schaffte es auch ein Österreicher nach einer tollen, aufopferungsvollen Fahrt bis ins Ziel. Österreichs sechsfacher Rallye-Staatsmeister Raphael Sperrer konnte dagegen leider nicht jubeln. Er mußte, nach seinem Ausfall auf der dritten Etappe und den darauffolgenden, chaotischen Stunden des „Verschollenseins“, den Zieleinlauf zu Hause in Kirchdorf auf dem TV-Gerät mitverfolgen. Was ihm trotz des zeitlichen Abstandes zum Tag des Scheiterns nicht leicht fiel. Rund zwei Wochen nach seinem Ausfall wagt Raphael Sperrer im Interview einen ersten Rück-, aber gleichzeitig auch einen kurzen Ausblick auf die Rallye Dakar.
Nichts geht mehr !
Raphael, gibt es Helden bei der Rallye Dakar?
Ich glaube schon. Allerdings gibt es zwei Arten von Helden: Jene Athleten,
die als Werksfahrer alles geben müssen und unter dem enormen Druck des
„gewinnen Müssens“ stehen. Und dann gibt es natürlich
all die Privatfahrer, die ebenfalls alles geben – aber aus dem Antrieb
heraus, an diesem einzigartigen, großen Abenteuer teilzunehmen und es
nach Möglichkeit vielleicht sogar zu beenden.
Bist Du als Teilnehmer auch so etwas wie ein „moderner
Abenteurer“?
Ich sehe mich selbst nicht als großer Held oder Abenteurer. Mich
interessiert die athletische Herausforderung, die sportliche Herausforderung.
Natürlich empfindet man es dann als Abenteuer, aber das muß man,
wenn man sportlich ernsthaft an die Sache herangeht, unter Kontrolle bringen.
Dein Ausfall bzw. die Zeit danach war aber schon mehr
ein Abenteuer, oder?
Das stimmt. Aber das hatte sich ja nicht deshalb so entwickelt, weil
wir es so geplant hatten sondern weil viele unglückliche Faktoren zusammengekommen
sind.
Das Roadbook - ein Wadi zuviel !
Über den Grund Deines Ausfalles ist viel spekuliert,
gesagt und geschrieben worden.
Ja, das stimmt. Und das Meiste davon hat nicht unbedingt der Wahrheit
entsprochen. Nur um das noch einmal klar zu stellen: Wir sind keineswegs „über
den Häf’n“ gefahren. Wir hatten dort im Atlas-Gebirge, ca.
zehn Kilometer vor der Unfallsstelle, einen Reifenschaden durch die scharfkantigen
Steinfelsen. Das kann sich ja niemand vorstellen, wie das dort aussieht. Das
sind scharfkantige Granitsteine und –blöcke mit 30, 40 Zentimeter
Durchmesser, über die wir da drüberfahren. Wir hatten also den Reifenschaden
und mußten das Rad wechseln. Als wir wieder im Cockpit waren, hab’
ich zu Sylvain gesagt, wir nehmen jetzt Tempo raus und schauen, daß wir
ohne weitere Probleme ins Ziel kommen. Ich meine, ich bin schon motiviert, aber
ich bin nicht so blöd zu glauben, daß man die „Dakar“
am dritten Tag gewinnt…
Und dann kam die verhängnisvolle Wadi-Querung?
Naja, da waren vorher noch zwei andere. Und ich weiß es nicht
mehr, genauso wenig wie Sylvain (Poncet, der Beifahrer, Anm.), ob er das dritte
Wadi angesagt und ich es vergessen oder überhört habe, oder ob er
es vergessen hat, anzusagen. Das wäre für die Analyse zwar gut zu
wissen, das Resultat wäre aber so der so dasselbe gewesen. Wir sind auf
dieses eineinhalb Meter tiefe und ca. fünf Meter breite, ausgetrocknete
Flußbett mit ca. 120 km/h hingekommen. Da fährst normalerweise mit
nicht mehr als 30 Stundenkilometern durch…
Der Einschlag muß heftig gewesen sein…
Natürlich, es war brutal. Im ersten Moment hab’ ich mir
gedacht, daß das nicht so gut ausgeht. Aber das Auto hat sensationell
gehalten. Wir sind quasi in den Gegenhang gesprungen, dort aufgestiegen und
auf der Schnauze gelandet. Dann hat es uns wieder zurückgeschmissen, sodaß
wir mit dem Heck am Boden und Der Wagenfront in Richtung Himmel zum Stehen gekommen
sind. Im ersten Moment wußten wir nicht, ob wir uns jetzt nach vorne überschlagen
hatten, oder nicht. Wir haben eine Zeit lang gebraucht, bis wir wußten,
wie das passiert ist. Erst bei dieser letzten Bewegung, als das Auto von der
Front auf das Heck fiel, ist der Schaden an der linken Hinterradaufhängung
passiert. Sonst war nichts Wichtiges kaputt. Freilich hatte der Unterfahrschutz
vorne und hinten Kratzer und die Lichter vorne waren zerkratzt. Aber es ist
nichts abgebrochen oder „zerstört“ gewesen, außer die
Hinterachsschwinge links. Und das zu reparieren, ist für die Service-Crew
des T4-Trucks eine Lappalie, eine Angelegenheit von 20 Minuten oder einer halben
Stunde…
Doch die Crew kam nicht?
Nein, die kam nicht. Das wußten wir aber nicht. Ein bedauerlicher
Kommunikationsfehler im Team. Uns hatte niemand gesagt, daß die Partie
in Spanien mit kaputtem Motor steht. Wenn ich daran denke… Der Stephane
Henrard, der am Ende mit dem alten VW-Buggy Gesamtzehnter (!) wurde, den hab’
ich auf derselben Etappe kurz nach dem Start mit abgeschertem Vorderrad gesehen.
Der ist zwei oder drei Autos vor mir gestartet und hat sich nach nur 400 Meter
das Rad abgerissen. Dessen Service-Crew kam mit dem T4-Truck, insgesamt hat
er durch diesen Defekt vielleicht zwei Stunden verloren. Da sieht man, was bei
uns möglich gewesen wäre…
Gab es eigentlich noch Hoffnung, nachdem der T4-Truck
nicht kam?
Ja, schon. Ich habe mir ausgerechnet, daß es für einen Service-LKW
vom Team locker möglich wäre, vom Etappenzielort mit den nötigen
Ersatzteilen zurückzufahren und uns zu helfen. Das wäre locker gegangen,
ist aber nicht passiert.
Warum nicht?
Das gilt es mit dem Team zu besprechen. Aber nur damit keine Mißverständnisse
aufkommen: So etwas kommt bei einer enorm schwierigen Veranstaltung wie der
Dakar einfach vor, da gibt es keine großen Vorwürfe. Nur muß
man, wenn so etwas passiert ist, im Nachhinein analysieren, warum es passiert
ist. Sylvain und ich müssen auch analysieren, warum mir, uns oder ihm ein
Fehler passiert ist und dieses Wadi übersehen wurde.
Wann hast Du gewußt, daß die Rallye Lissabon-Dakar
2007 für euch vorbei ist?
Nun, nachdem wir uns mit dem „Lumpensammler“, also mit
dem Schlußauto, nicht hinausbringen ließen – wofür wir
auch eine Verzichtserklärung gegenüber dem Veranstalter unterschreiben
mußten – wußte ich, daß wir eine kleine Chance, sagen
wir, eine zehn Prozent Chance hatten, wenn uns ein Service-LKW die notwendigen
Teile bis spätestens 05:00 Uhr morgens bringt. Nachdem um 06:00 Uhr noch
niemand da war, wußte ich, jetzt ist es vorbei. Gekommen ist übrigens
bis 17:00 Uhr nachmittags niemand. Überhaupt niemand, außer drei
Kamele und ein paar Vögel.
Hast Du dir Sorgen gemacht, Angst gehabt?
Nein, Angst hatte ich keine. Sorgen ja, aber eher deshalb, weil mir
bewußt war, daß meine Familie nicht weiß, was los ist. Wir
waren dort im Atlas-Gebirge, auf 1.500 Metern, da geht kein Handy. Und das Satelliten-Telefon
war im Service-Truck, weil der Akku leer war. Zum Aufladen. Deshalb konnte ich
niemandem Bescheid sagen. Man macht sich dann auch Gedanken: Wie komme ich jetzt
zu einer heißen Suppe? Ich hatte zwar eine Packerlsuppe mit, aber wie
mach’ ich das Wasser dafür heiß? Die Situation war irgendwie
grotesk: Die ganze Welt konnte mittels GPS-Signal des IriTrack im Internet sehen,
wo ich bin, nur erreicht hat mich niemand…
Wie war die Nacht?
Naja, abgesehen davon, daß ich mir natürlich das Hirn zermartert
habe, warum mir so etwas passiert, war’s nicht sehr bequem und nicht sehr
warm. So ein Sparco-Rennschalensitz ist nicht besonders bequem. Und die minus
zehn Grad Celsius fühlten sich im Rennoverall wie minus 20 Grad Celsius
an. Gott sei Dank hatten wir solche Alu-Notfalldecken mit, die haben ein bisserl
gewärmt.
Du hast Dir das Hirn „zermartert“. War
das die größte Enttäuschung in deiner bisherigen, sehr erfolgreichen
Motorsport-Karriere?
Das ist schwer zu sagen. Für mich ist in diesem Moment einfach
eine Welt zusammengebrochen. Andererseits weiß man, wenn man die Dakar-Rallye
fährt, daß so etwas immer passieren kann. Das hat sich zum Beispiel
auch bei VW gezeigt. Die waren optimal vorbereitet, haben einen Riesentroß,
mehrere potentielle Siegfahrer und liegen souverän in Doppelführung.
Und dann reicht ein einziger Tag, eine einzige Etappe, um alles zu zerstören.
Glück und Pech liegen auf dem Weg nach Dakar viel enger beisammen, als
anderswo. Das muß man einfach akzeptieren. Für jemanden mit einem
– vergleichsweise – kleinen Budget und wenig Vorbereitung war ich
optimal unterwegs. Es hätte mich ja genauso wie letztes Jahr zwei Tage
vorm Ziel erwischen können. Wobei, das wäre mir trotzdem noch lieber
gewesen: Denn heuer waren viele Strecken neu, nächstes Jahr fehlen mir
8.000 Kilometer Erfahrung…
Du sprichst vom nächsten Jahr. Wird es ein nächstes
Jahr geben?
Ich werde alles daran setzen. Man muß, wenn man so ein Projekt
betreibt, damit rechnen, daß unheimlich viele Dinge passieren können,
daß sehr viel schief gehen kann. Da kann ich meinen Sponsoren gar nicht
genug danken – Gauloises, Remus und Tricon, also meine drei Hauptsponsoren,
stehen zu mir, so wie meine „kleineren“ Geldgeber auch. Ihnen allen
gilt ein Riesenkompliment, daß sie so zu mir stehen! Wir sind uns alle
bewußt: Die „Dakar“ ist die härteste Motorsportveranstaltung
der Welt. Das Wichtigste ist, gesund nach Hause zu kommen, an seinen Traum zu
glauben und daran mit Konsequenz, Konzentration und vollem Einsatz weiterzuarbeiten.