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Benzin ist nicht gleich Benzin.
Ferrari-Partner Shell entwickelt zu jedem F1-Rennen optimierten Treibstoff.

Kraftstoff gilt gemeinhin als gleichförmige Materie, als Flüssigkeit, die man in den Tank kippt, der dann im Laufe des Rennens leer wird. Dabei leistet der Motor zwar den Antrieb für jedes Automobil, doch erst der Treibstoff bringt ihn zum Laufen.
In letzter Zeit kamen in der Formel Eins Diskussionen über leichten und schweren Kraftstoff auf. Manche behaupten, es handele sich dabei um einen Wettbewerb innerhalb der Boxengassen, um der Presse eine möglichst abgedrehte Story anzudrehen. Lesen Sie in diesem Artikel aus RACE TECH MAGAZINE, warum das nicht stimmt.

MIKE EVANS von Shell Global Solutions (UK) sprach mit RACE TECH-Autor Paul J. Weighell darüber, was Shell unternimmt, um die Ansprüche des Siegerteams von Ferrari an den Kraftstoff zu erfüllen. Ferrari ist Shells einziger Kunde aus der Formel Eins. Zwar bezahlt Shell dafür, dass die roten Ferraris das Logo mit der gelben Muschel tragen. Doch beide Seiten betonen nachdrücklich, dass es sich um eine ernsthafte technische Partnerschaft handelt. Zwischen den Experten für Kraftstoffe und Schmiermittel, den Triebwerkskonstrukteuren und dem gesamten Team bestehen enge vertragliche Bindungen über die Kooperation bei Forschung und Entwicklung. Bei zu großer Hitzeentwicklung im Motor würden andere Teams möglicherweise ein Triebwerksproblem identifizieren und eine maschinenbauliche Lösung anstreben, also etwa auf dickere Kolbenböden oder eine modifizierte Motorschmierung setzen. Ferrari und Shell dagegen würden sich wahrscheinlich ebenso intensiv bemühen, eine Lösung durch die Weiterentwicklung von Kraft- oder Schmierstoffen zu finden.

„Der Kraftstoff muss bis zu drei Wochen vor dem Rennen bestimmt und versandfertig gemacht werden. Man stelle sich einmal vor, die Einstellung der Flügel oder der Dämpfer müsste vor dem Flug nach Australien entschieden werden.“

Ein teils im englischen Chester, teils in Hamburg-Harburg ansässiges, 40-köpfiges Shell-Team komponiert die Kraftstoffe und Öle. Außerdem stellt es ein personell voll ausgestattetes mobiles Labor bereit, das integraler Bestandteil des Track Teams von Ferrari ist. Dieses Labor ist bei sämtlichen Formel Eins-Rennen dabei und analysiert während des gesamten Rennwochenendes Kraftstoff- und Ölproben. So wird gewährleistet, dass keine absichtliche oder zufällige Verunreinigung die Rennergebnisse ungültig macht, etwa weil der chemische Fingerabdruck des offiziellen Kraftstoffs nicht mit den von der FIA zugelassenen Kraftstofftypen übereinstimmen.

Ist das Gewicht des Kraftstoffs im Tank geringer, wird der Wagen naturgemäß schneller. Dies kann - je nach Strecke - etwa 0,12 Sekunden pro Runde ausmachen. Oder, anders ausgedrückt: das Gewicht des Treibstoffs bringt etwa 0,05 Sekunden pro Runde pro Kilogramm. Weniger Gewicht ist natürlich in sämtlichen Fahrzeugbereichen erstrebenswert, aber bis vor kurzem war eine Gewichtsreduzierung im Zusammenhang mit der Kraftstoffzusammensetzung kein Thema.

Rennfahrer bemühen sich seit langem, durch ausgefallene Kraftstoffkompositionen mehr Power herauszuholen. Bei den meisten gängigen Rennen ist das zwar verboten, doch bei Dragrennen ist die Verwendung von exotischem Rennbenzin zulässig. Die Kraftstoffzusammensetzung ist hier von zentraler Bedeutung, um die ansonsten ziemlich durchschnittlichen Triebwerke in Monster mit gut 5.000 PS zu verwandeln, so dass den Fans die Tränen in die Augen schießen, wenn sie zu nahe am Parcours stehen. Bei exotischen Kraftstoffen werden seit langem Chemikalien von Nitromethan bis zu Diolefinen verwendet, aber die Motorsportverbände der gängigen Rennen haben schon vor langer Zeit den Einsatz von speziellen Kraftstoffen untersagt.

Heutzutage schreibt die FIA für die Formel Eins Kraftstoff vor, der in Bezug auf die meisten Identifikationsmerkmale praktisch dem Tankstellenbenzin entspricht. Bei den technischen Reglements der FIA für die Saison 2005 umfasst das Kapitel Kraftstoff drei volle Seiten (siehe www.fia.com).

Moderner Formel Eins-Kraftstoff besteht gemäß den Vorschriften zu etwa 99 Prozent aus denselben Komponenten wie der Stoff, den der normale Autofahrer an der Zapfsäule tankt. Ein paar Additive sind erlaubt, da die Triebwerke ein wenig mehr Pflege benötigen, um ein Rennen mit Spitzendrehzahlen von 19.000 U/min zu überstehen. Dennoch kann man einen aktuellen 3,0-Liter-V10-Motor mit „Tankstellenbenzin“ fahren, und umgekehrt läuft ein Straßenfahrzeug auch mit Formel Eins-Kraftstoff.

In der letzten Saison gab Shell an, dass sein Formel Eins-Kraftstoff möglicherweise leichter ist als der der Konkurrenten. Eine Gewichtsreduzierung - ganz gleich, wo sie erfolgt- verschafft dem Team einen Vorteil bei der Ballastpositionierung. Wenn diese Reduzierung beim Kraftstoff stattfindet, der bis zu vier Mal pro Rennen nachgetankt werden muss, verdoppelt sich der Nutzen oder vervierfacht sich gar. Noch interessanter aber ist vielleicht, dass Shell angibt, das Gewicht und die Leistung seines Kraftstoffs variieren zu können, um ihn unterschiedlichen Rennstrecken und Strategien von Ferrari anzupassen.

Es wäre für Ferrari natürlich von Vorteil, für alle unterschiedlichen Bedingungen den optimalen Kraftstoff einsetzen zu können. Doch das Reglement schreibt vor, dass jedes Team pro Rennen nur einen Kraftstofftyp verwenden darf. In der Praxis bedeutet das, dass – je nachdem, wo der Parcours liegt - der Kraftstoff bis zu drei Wochen vor dem Rennen bestimmt und versandfertig gemacht werden muss. Das kann für die Ferrari-Strategen eine schwierige Entscheidung bedeuten. Denn der Kraftstoff ist wohl das einzige Element am ganzen Wagen, das Wochen im Voraus bestimmt wird und das nicht in den letzten Stunden vor dem Rennen komplett ausgetauscht werden kann, wenn Strecke, Wetter, Leistungsverhalten oder Strategie dies erfordern. Man stelle sich einmal vor, über die Einstellung der Flügel oder der Dämpfer müsste vor dem Abflug nach Australien entschieden werden.

Das Gewicht des Kraftstoffs hängt ausschließlich von dessen Dichte ab. Ein Liter reines Wasser wiegt ein Kilogramm, und das FIA-Reglement schreibt vor, dass die Dichte eines Kraftstoffs zwischen 0,720 und 0,775 kg/l bei 15°C zu liegen hat, was einer Dichte von etwa 7,5 Prozent entspricht. Durch Verschneiden auf eine niedrigere Dichte hin kann Shell Ferrari zu einer relativen Gewichtsreduzierung verhelfen.

Ausgehend von der zulässigen Dichtetoleranz um 7,5 Prozent können die Kraftstofftypen also variieren. Das Spektrum reicht - bei gleichem Brennwert - vom volumetrisch günstigen Kraftstoff, also hohe Dichte bei geringem Volumen, bis zum gravimetrisch günstigen, d.h., niedrige Dichte bei großem Volumen.

„Das Team entscheidet, bei welcher Runde eine Boxenstopp eingelegt wird," sagt Ferraris technischer Direktor Ross Brawn. „Wegen des Restkraftstoffs im Tank ist das Fenster sehr klein, und die Nachtankzeit ist festgelegt, so dass wir einer volumetrischen Beschränkung unterliegen. Manchmal ist es von Vorteil, einen Kraftstoff mit volumetrischem Vorteil zu verwenden, manchmal ist einer mit gravimetrischem Vorteil günstiger.“

100 Liter Kraftstoff machen bis zu 9 Prozent des Wagengewichts aus. Wenn man das Kraftstoffgewicht verringert, kann man das so reduzierte Gewicht in noch mehr beweglichen Ballast investieren. Diesen kann man am Boden des Schalenrumpfes einsetzen, um die Trimmung um die Querachse oder auch um die Längsachse des Wagens auf ein optimales Fahrverhalten abzustimmen. In die Überlegungen einbeziehen sollte man auch, ob die Gewichtsreduzierung beim einzigen Posten, der während des Rennens kontinuierlich sein Gewicht verändert, auch einen Wagen schafft, der besser kalkulierbar ist und sich daher leichter fahren lässt.

Skeptiker, für die Kraftstoff gleich Kraftstoff ist, sollten bedenken, dass modernes Benzin bis zu 250 chemische Bestandteile enthält, von denen jeder einzelne sehr komplexe Eigenschaften hat. Jedes Benzin entsteht aus Rohöl. Dieses wird in der Raffinerie durch Destillation in seine Bestandteile mit einer ganzen Bandbreite unterschiedlicher Siedepunkte zerlegt und so in viele verschiedene Produktströme überführt. Anschließend folgt die weitere Verarbeitung.

„Modernes Benzin enthält bis zu 250 chemische Komponenten, von denen jede einzelne sehr komplexe Eigenschaften hat"

Während des Destillationsprozesses werden bei unterschiedlichen Temperaturen Kombinationen chemischer Bestandteile freigesetzt. Je höher dabei die Temperatur, desto schwerer der entstehende Kraftstofftyp. Schweres Dieselöl verbrennt beispielsweise bei einer höheren Temperatur als Benzin. Die einzelnen Fraktionen des Destillationsprozesses durchlaufen dann durch Aufspaltung und chemische Umwandlungsprozesse weitere Veränderungen ihrer chemischen Struktur. Diese Umwandlung erhöht die Oktanzahl der Siedebereiche der Benzinströme, meist von etwa 60 oder 70 auf praxistauglichere 80 bis 105. Diese Produktströme werden anschließend verschnitten, um Benzin mit der erforderlichen Oktanzahl, Dichte und sonstigen Eigenschaften zu erzeugen, die den von der FIA vorgeschriebenen Grenzwerten entsprechen.

In Mitteleuropa und Großbrittanien hat bleifreies Benzin heute eine Oktanzahl (RON) von 95, doch vor 30 Jahren konnte man an regulären Zapfsäulen ohne weiteres Benzin mit einer Oktanzahl von 105 tanken. Auf Grund von Emissionsvorschriften für PKW wurden Bleiadditive, die die Oktanzahl beträchtlich erhöhen, weggelassen, so dass die potenzielle Leistung auf Grund niedrigerer Kompressionsverhältnisse und anderer ingenieurwissenschaftlicher Kriterien herabgesetzt wurde.

Eine höhere Oktanzahl ist ebenso erstrebenswert wie ein leichter Kraftstoff. Aber wie kreiert man ein Rennbenzin mit hoher Oktanzahl, wenn die Bestandteile zu 99 Prozent dem Tankstellenbenzin entsprechen müssen? Die Antwort heißt, wie so oft beim Motorsport: durch gezielte Auswahl.

Als die Hot Rodder in den USA Profistatus erlangten und ihre Rennen von den Salzseen auf nationale Dragsterrennstrecken verlegten, wollten sie nichts als Power zum Minimaltarif. Dieses Ziel erreichten sie, indem sie viel mehr Serienteile kauften als sie benötigten und hiervon nur diejenigen auswählten, die am besten passten. Einen Motor zu konstruieren bedeutete, ihn von Hand aus perfekt passenden Komponenten zusammenzubauen, unter Berücksichtigung der empfohlenen maximalen Abmaße und minimalen Volumen.

Durch den Kauf von 24 Kolben, die exakt verwogen wurden, fand man wahrscheinlich acht, die ein klein wenig leichter waren und außerdem zusammen passten. Beim Kauf von 24 Pleueln, die man einzeln vermaß, fand man vielleicht acht, die exakt die gewünschte Länge hatten. Ging man bei jeder Motorkomponente so vor, konnte man zig Pferdestärken gewinnen.

Shell verfolgt beim Verschneiden des Kraftstoffs für seine Hochleistungs-Tankstellen- und Rennbenzine einen ähnlichen Entwicklungsansatz. Das Unternehmen besitzt und betreibt zahlreiche Raffinerien auf der ganzen Welt und verarbeitet verschiedene Arten von Rohöl. Nicht nur jede Rohölart, sondern selbst jede Charge eines Produktstroms einer Raffinerie besitzt unterschiedliche Eigenschaften. Man könnte alle verschiedenen Ausgangsstoffe zusammenmischen und erhielte eine riesige Menge eines Durchschnittsprodukts. Doch man kann auch durch aufwändige chemische Verfahren und dank langer Erfahrung verschiedene Raffinerieprodukte so verschneiden, dass man verschiedene Kraftstoffqualitäten für unterschiedliche Zwecke erhält.

In jeden Typ von Shell Rennbenzin können bis zu 25 verschiedene Produktströme aus der Raffinerie einfließen und so eine komplexe Mischung aus etwa 250 chemischen Komponenten bilden. Shell ist also in der Lage, gezielt ein breites Spektrum von geringfügig unterschiedlichen Kraftstoffen zu erzeugen, indem es aus seinen verschiedenen Produktströmen einzelne mit Bedacht auswählt. Das Unternehmen verfügt über computergestützte Motoren- und Kraftstoffmodelle mit einer Datenbank aus rund 250 chemischen Bestandteilen, die bei der Kraftstoffkomposition verwendet werden können. Durch Computersimulation verschiedener Kombinationen von Raffinerieprodukten, gepaart mit verschiedenen Kraftstoffadditiven, kann man ein breites Sortiment an Kraftstoffen erzeugen, die potenziell einem bestimmten Zweck dienen.

Beim Tankstellenbenzin für normale PKW geht Shell nach diesem Auswahlverfahren vor, um seine Marken Optimax und V-Power mit einer Oktanzahl von über 98 zu erzeugen. Das Formel Eins-Rennbenzin basiert darauf, und mit Hilfe des beschriebenen Verschnittverfahrens wird sein Wirkungsgrad optimiert. Ein gutes Formel-Eins-Triebwerk leistet eine Spitzendrehzahl von etwa 19.000 U/min. Da hat das Benzin kaum Zeit zu verdunsten und sauber zu verbrennen.

Die Herausforderung liegt darin, den Kraftstoff dazu zu bringen, in der begrenzten Zeit zu verbrennen und dabei die thermische Stabilität, Kühlung und Schmierung in den oberen Triebwerksbereichen zu erhalten.

Shell besitzt ein einzigartiges Computermodell für Kraftstoffe, das die Eigenschaften einer jeden Versuchsmischung vorausberechnet. Mit Hilfe dieser computergestützten Komponentenauswahl ist es möglich, Kraftstoffkompositionen zu erzeugen, die nicht nur dieselbe Leistung bringen wie andere, sondern auch den entscheidenden Vorteil haben, bei einem vorgegebenen Volumen weniger zu wiegen.

Wenn man bei Shell annimmt, eine bessere Kraftstoffkomposition entwickelt zu haben, lässt man diese Mischung durch die unternehmenseigenen virtuellen Computer-Motorenmodelle laufen, um ihre voraussichtliche Leistung zu testen. Von jeder der etwa vier bis sechs neuen Mischungen werden Zweihundert-Liter-Chargen produziert und zu Ferrari transportiert. Dort testet man sie in den Motorprüfständen, um die beste Kombination aus Power und Kraftstoffverbrauch zu ermitteln. Verlaufen die Tests erfolgreich, werden die Kraftstoffe während der Zulassungsphase vor dem Rennen weiter eingesetzt. Wenn nicht, fließen die Ergebnisse in den Kraftstoffentwicklungsprozess und in die nächste Kraftstoffkreation ein, die auf der Basis dieser Ergebnisse entwickelt wird.

Von den ein oder zwei erfolgreichen Kraftstofftypen werden dann größere Chargen zusammengemischt und an Ferraris Testteams ausgegeben, die sie in regulären Testreihen für die Wagen einsetzen. Die Triebwerke werden inspiziert und ihre Leistung während der Tests dokumentiert. Zuletzt wird ein Kraftstofftyp ausgewählt, der vom Rennteam für den späteren regulären Einsatz verwendet wird.

Die geringe Masse des entwickelten Shell-Kraftstoffs half Schumacher letztes Jahr in Silverstone, mit der Führungsriege mitzuhalten, obwohl er noch Kraftstoff für etwa vier weitere Runden im Tank hatte.

Bei Shell geht man davon aus, dass vier solcher Kraftstoffverbesserungszyklen pro Jahr erreicht werden können. Das derzeitige Shell V-Power ULG59/L5 ist eine Weiterentwicklung des Vorläufers ULG58 und holt einige Pferdestärken mehr aus den Triebwerken heraus. Entscheidend ist, dass der neue Kraftstoff die geringe Dichte des Vorgängers beibehalten hat und Ferrari somit weiterhin bei der Planung der Renntaktik die Möglichkeit eines entscheidenden strategischen Vorteils bietet.

Im Jahre 2004 beispielsweise konnte Michael Schumacher mit dem Tempo der Führungsriege mithalten, obwohl er noch für etwa vier weitere Runden Kraftstoff im Tank hatte. Dies lag auch an der verbesserten Treibstoffökonomie und der geringen Masse des entwickelten Kraftstoffs.

Beim Grand Prix 2004 in Australien trug der Shell-Kraftstoff mit seiner geringen Dichte dazu bei, dass die Ferrari-Piloten länger fahren konnten als die meisten Rivalen mit derselben Strategie. 2005 war der Kraftstoffverbrauch in Australien durchschnittlich, obwohl hohe Temperaturen eine weitere Erschwernis für die Kraftstoffkonditionierung darstellten. Solchermaßen konditionierter Kraftstoff kann zusätzliche Leistung und Flexibilität bei den Boxenstopps bieten. Daher versuchten alle Teams, den Kraftstoff so kühl zu halten wie es die Regeln zuließen.

Angesichts der Tatsache, dass die Wagen dieses Jahr während der Rennen keine Stopps zum Reifenwechseln einlegten, ist die optimale Zusammensetzung des Kraftstoffs von immenser Bedeutung. Ganz gleich, welche spezielle Zielsetzung Ferrari mit den von Shell kreierten Kraftstoffen verfolgt, ob es um Gewichtsreduzierung, Volumenreduzierung oder Verlängerung der Lebensdauer des Triebwerks geht: ganz offensichtlich basiert diese Technikpartnerschaft auf einer Aufmerksamkeit fürs Detail, die auch den übrigen Teams Stoff zum Nachdenken bieten sollte.

KRAFTSTOFFDESIGN IN DER FORMEL EINS – WAS BRINGT ES?

Die Tanks der Formel Eins-Wagen haben ein Volumen von etwa 75 bis 130 Liter. Vollgetankt fassen sie - je nach Kraftstoffdichte - theoretisch 60 bis 100 kg Kraftstoff. Der Verbrauch während eines Rennens beträgt etwa 130 bis 180 kg, also etwa 1,7 bis 3,7 kg pro Runde, je nach Strecke, Triebwerk und Tempo. Der Kraftstoff wirkt sich absolut betrachtet stärker auf die Rundengeschwindigkeit aus als die Reifen, obwohl die Kraftstoffeffekte sich bei den einzelnen Teams nicht sehr unterscheiden. Bei der Reifenabnutzung dagegen sind die Unterschiede zwischen den Teams größer. Der Reifenabrieb ist daher für die relative Geschwindigkeit der Teams untereinander bedeutender. Punkte holt man natürlich auf Grund der relativen Geschwindigkeit. Angesichts des höheren absoluten Effekts des Kraftstoffs kann eine umsichtige Auswahl des zur Verfügung stehenden Stoffs jedoch die Rennperformance steigern.

Hat man die Wahl zwischen Kraftstoff mit geringem Gewicht oder geringem Volumen, so bedeutet das für Ferrari ein nützliches zusätzliches Instrument in der ohnehin schon ziemlich umfassenden Trickkiste. In Anbetracht des identischen Brennwerts bieten zwei unterschiedliche, jeweils am anderen Ende des Dichtespektrums angesiedelte Kraftstoffe eine sinnvolle zusätzliche Alternative.

GRAVIMETRISCH GÜNSTIG

Die Verwendung eines leichten, am unteren Ende des von der FIA geforderten Dichtebereichs angesiedelten Kraftstoffs im Tank des Ferraris kann 5,5 kg einsparen. Nur auf Grund des leichteren Kraftstoffs kann das bei der Rundenzeit 0,2 Sekunden bringen. In der Realität würde dieser Wert jedoch zumindest teilweise aufgehoben durch den Reifeneffekt. Dennoch macht er netto immer noch 0,115 Sekunden pro Runde aus.

Unter strategischen Gesichtspunkten könnte Ferrari eine leichte Kraftstoffkomposition wählen, wenn es auf einem schnellen Kurs auf eine dauerhafte Kraftstoffersparnis über eine lange Distanz ankommt, oder wenn jede noch so geringe Gewichtsreduzierung zählt.

VOLUMETRISCH GÜNSTIG

Alternativ könnte Ferrari bei einem Rennen mit drei Boxenstopps bei jeweils acht Sekunden Tankdauer und einem laut Reglement maximal erlaubten Durchfluss von 12,1 Litern pro Sekunde etwa 1,5 Sekunden gewinnen, wenn der verwendete Kraftstoff am oberen Ende des von der FIA geforderten Dichtebereichs liegt. Grund: der Wagen lässt sich in kürzerer Zeit mit dem erforderlichen Brennwert betanken.

Ferrari könnte sich für eine Kraftstoffmischung mit höherer Dichte entscheiden, wenn viele Boxenstopps nötig sind und/oder schwache Überholmanöver ein Problem darstellen, das kürzeste Boxenstopps erfordert.

GEKÜHLTER SPRIT?

Selbst wenn der Sprit schon seine maximale Dichte von 0,775 kg/l bei 15°C hat, kann man ihn noch ein wenig komprimieren. Beim britischen Grand Prix des Jahres 2004 lag die Außentemperatur bei etwa 17°C. Das FIA-Reglement gestattet den Teams, den Kraftstoff auf 10°C unterhalb der Außentemperatur herunterzukühlen. In Silverstone waren das vor der letzten Tankfüllung am Samstag also etwa 7°C, wodurch sich das Volumen ein wenig verringern ließ.

Das Reglement verbietet jedoch andererseits den Einsatz jeglicher Geräte an Bord des Wagens, die die Temperatur des Kraftstoffs senken. Es ist also unmöglich, ihn auf mechanische Weise kühl zu halten. Das Kühlen des Kraftstoffs kann daher nur beim Qualifying funktionieren - vorausgesetzt, der Tank ist ausreichend thermisch isoliert, um die erreichte Temperatursenkung lange genug zu halten, bis das Qualifying gelaufen ist. Nach der ersten Tankfüllung gleicht sich der gekühlte Kraftstoff jedoch relativ lange vor Rennbeginn wieder der Außentemperatur an.

Selbst mit gekühltem, gut isoliertem Kraftstoff besteht stets die Gefahr, dass die Umgebungstemperatur ansteigt, die FIA eine Kraftstoffprobe des Wagens verlangt und die Kraftstofftemperatur dann um mehr als 10°C unterhalb der Außentemperatur liegt. Und selbst, wenn eine Kühlung gerade noch funktioniert, sind die taktischen Vorteile von schwerem, d.h., kühlem, dichtem Kraftstoff beim Qualifying nicht sofort ersichtlich, da man vermutlich der volumetrischen Effizienz den Vorzug geben, d.h., den bei einem festgelegten Brennwert leichtesten Kraftstoff wählen würde.

Bei einer zeitabhängig dosierenden Hochdruck-Kraftstoffeinspritzung würde ein Kraftstoff mit höherer Dichte eine kürzere Einspritzzeit benötigen, um denselben Brennwert in die Zylinder zu injizieren. Dies würde hohe Drehzahlen begünstigen und dadurch Leistungsvorteile bringen. Die Betankung durch die Tankanlagen wird eher nach Volumen als nach Gewicht gemessen. Und obwohl Vorrichtungen zur Kühlung des Kraftstoffs innerhalb der Tankanlagen oder des Wagens verboten sind, gibt es kein – so entnehme ich es dem Reglement – Verbot für vorgekühlten Kraftstoff, der in die Tankanlagen gefüllt wird.

Wäre man also in der Lage, den während eines Boxenstopps von den Tankanlagen abgegebenen Kraftstoff unter dem Strich zu kühlen, könnte man eine Treibstoffmenge mit einem vorgegebenen Brennwert geringfügig schneller betanken.

KRAFTSTOFF GEMÄSS REGLEMENT

Die FIA verlangt für Formel Eins-Kraftstoff eine Zulassung. Jeder neue Kraftstofftyp muss von der FIA analysiert und registriert werden. Seine mittels Gaschromatographie festgestellte chemische Signatur wird während des Zulassungsverfahrens dokumentiert. Anhand dieser Gaschromatographie-Signatur (dem so genannten chemischen „Fingerabdruck”) überprüfen die Zulassungsbeauftragten später an der Strecke, ob der Kraftstoff den Angaben des Teams entspricht. In der Vergangenheit wurden manchen Teams die Rennergebnisse aberkannt, weil es beim Kraftstoff zu Unregelmäßigkeiten gekommen war. Shell prüft daher die von Ferrari eingesetzten Kraftstoffchargen pro Rennwochenende bis zu 40 Mal, um sicherzustellen, dass keine regelwidrigen Veränderungen vorliegen. Die Zusammensetzung der Kraftstoffchargen kann sich beispielsweise bei hohen Außentemperaturen durch hohe Verdunstung der leichteren Bestandteile des Kraftstoffs verändern, wenngleich ein gewisser Spielraum für Verdunstung berücksichtigt wird. Es kann auch zu ungewollten chemischen Verunreinigungen des Kraftstoffs kommen, etwa, wenn durch einen Zapfhahn einige wenige Tropfen Öl mit Substanzen in den Tank gelangen, die ursprünglich nicht im Zusammenhang mit der Kraftstoffsignatur dokumentiert wurden. Dadurch wäre die gesamte daraus entstehende Mischung unzulässig. Es bedarf mindest vier vollständiger Tankfüllungen, um Verunreinigungen vollständig zu beheben. Das Mischen von zwei von der FIA zugelassenen Kraftstoffen (während eines Kraftstoffwechsels) kann ähnliche Probleme zur Folge haben, da die daraus resultierende Gaschromatographie-Signatur nicht der des für die Rennstrecke zugelassenen Kraftstoffs entspricht. Der Treibstoff seines Siegerfahrzeugs ist Ferrari so wichtig, dass man Shell am Rennwochenende einen halben LKW für das Kraftstofflabor inklusive Personal zur Verfügung stellt. In dem Speziallabor arbeiten zwei Kraftstoffexperten von Shell. Einer von ihnen befasst sich ausschließlich mit dem Kraftstoff, der an dem jeweiligen Wochenende verwendet wird, und der andere mit dem Öl.

Der Kraftstoff wird mit einem an Bord befindlichen Analysegerät für Gaschromatographie analysiert. Aus den Benzinfässern, der Tankanlage und den Wagen werden Proben entnommen. Von jeder dieser Proben werden fünf Milliliter in eine Glasviole gefüllt, und

Nur ein Mikroliter hiervon wird in das Gaschromatographiegerät injiziert. Dies vermittelt eine ungefähre Vorstellung davon, wie empfindlich das Analysegerät reagiert. Der Zeitplan für die Kraftstofftests am Rennwochenende steht ziemlich genau fest:

MITTWOCH – Der LKW mit dem mobilen Labor von Shell/Ferrari kommt im Fahrerlager an. Dort bereiten sich die Analytiker auf die Testläufe des Gaschromatographen und des Röntgenspektrometers vor. Der Gaschromatograph erhitzt die Kraftstoffproben von Umgebungstemperatur auf 280°C. So wird ein Fingerabdruck der chemischen Bestandteile des Kraftstoffs erzeugt, während einer der Analytiker mit dem Röntgenspektrometer das Motorenöl auf Spuren von Metallabrieb untersucht.

DONNERSTAG – Das Shell-Team prüft, ob der gesamte Kraftstoff für das Wochenende wohlbehalten aus Chester angekommen ist. Treibstofffässer, Tankanlage, Kalotte (Kraftstofftransfergerät in den Boxen) und die Tanks der Wagen werden sorgfältig auf Verunreinigungen inspiziert, Tankanlagen und Wagen werden betankt.

FREITAG - Shell und Ferrari treffen sich vormittags und diskutieren die Planung für das Wochenende. Im Laufe des Tages werden von Wagen und Tankanlagen Kraftstoffproben entnommen – am Freitag bis zu 12 Proben.

SAMSTAG – Während des ganzen Vormittags werden Tests gefahren. Dabei sind die Proben, die unmittelbar vor dem ersten Qualifying genommen werden, mit die wichtigsten des ganzen Wochenendes.

SONNTAG – Wenn die Wagen nach dem Qualifying oder nach dem Rennen im Parc Fermé sind, kann man kaum noch etwas tun. Shell kann aber als letzten Sicherheits-Check immer noch Proben aus den Tanks und den Tankanlagen entnehmen. Nach dem Rennen kann die FIA beschließen, eine Stichprobe zu entnehmen. In diesem Fall würde auch Shell eine Probe nehmen, um die Konsistenz beider Proben sicherzustellen.

Alles in allem können an einem Rennwochenende bis zu 40 Proben entnommen werden.

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