Keine Einzelperson hat das Wettrüsten der Formel 1 mit so vielen genialen Einfällen befruchtet wie der Gründer der Firma Lotus, Colin Chapman. Auch wenn er seine Visionen durch andere Techniker verwirklichen liess. Aber dank seiner Durchschlagskraft und seines riskanten Management-Stils entstanden bei Lotus für die Formel 1 der Schalenrahmen, genannt Monocoque, als die Gegner noch Rohrrahmen-Autos einsetzten, entstanden Turbinen-Autos, wurde mit Allradantrieb experimentiert, man setzte auf Keilform, und entwickelte mit dem Lotus 72 einen derart fortschrittlichen Formel 1 Wagen, dass dieses Konzept von 1970 an insgesamt vier Jahre lang siegfähig war.
Die Erfindung des Ground effects, die Lotus im Typ 78 der Saison 1978 völlig unbemerkt ins Wettrüsten brachte, war so revolutionär wie die Glühlampe des Thomas Alfa Edison.
Es dauerte eine Weile, bis die Konkurrenz dieses Konzept mit verkehrt angeordneten, seitlichen Flügelprofilen durchschaute, die unterm Auto eine Saugnapfwirkung erzeugten. Und selbst die Reporter, die sich damals noch frei in den Boxen bewegen konnten, bekamen diese Errungenschaft nicht spitz.
Lotus erfand die aktive Radaufhängung und der Leichtbau,
den Chapman forderte und zuliess, war die technische Religion.
In dem grossartigen Jim Clark fand Chapman seine «Labor-Maus» um
seine extremen Techniken auszutesten.
Chapman war ein Extremist, der mit fünf Leuten in einen Aufzug einstieg,
der nur für drei zugelassen war. Der Preis, den Lotus für seine Reissbrett-Hasardspiele
zahlte, war hoch, Piloten wie Alan Stacey, Ricardo Rodriguez, Jim Clark, Mike
Spence, Jochen Rindt und Ronnie Peterson verloren im Lotus-Cockpit ihr Leben,
Stirling Moss hatte 1962 in Goodwood in einem Lotus 18/21 jenen schweren Crash,
der seine Karriere beendete.
Als Chapman im Dezember 1982 zu Hause an Herzversagen starb, hiess es später, er wäre gar nicht tot. Er würde unter einem anderen Namen mit künstlich veränderten Gesicht weiterleben. Jene, die damals dieses Gerücht in die Welt setzten, wussten bereits, was erst sieben Jahre später Rechtsanwälte und Gerichte beschäftigen sollte. Es betraf einen Coup, der rund um die Errichtung der DeLorean Sportwagenfabrik in Belfast gedreht wurde.
Von 80 Millionen Pfund, die die britische Regierung für den Bau des Werkes auf irischem Notstandsgebiet genehmigte, sollen 17,6 Millionen von DeLorean und Chapman auf Privatkonten in die Schweiz verschoben worden sein. DeLorean, einst freiwillig als GM-Vizepräsident ausgeschieden, musste das Sportwagenwerk 1982 einsargen. In den USA war er in eine aufsehenerregende Rauschgift-Affaire verwickelt. Die verschobenen 17,6 Millionen Pfund setzten sich aus 5 Millionen Regierungsgeldern und 12,6 Millionen von privaten Investoren zusammen.
Sagte der damalige Lotus-Team-Manager Peter Warr «diese
Affaire betrifft uns nicht», so kam Lotus nach diesen Enthüllungen,
bei denen die britische «Sunday Times» federführend war, doch
in ein sehr schiefes Licht.
Fred Bushell, Chapmans Weggefährte in Finanzfragen, einst Präsident
im Lotus-Autowerk, dann Vorstandsdirektor im Rennstall, musste im Juli 1989
in Untersuchungshaft. Ihm wurde Beihilfe in der Chapman-DeLorean Betrugsaffaire
vorgeworfen. Im Juni 1992 wurde er dann zu drei Jahren Haft und der Zahlung
von 2,25 Millionen Pfund verurteilt. Wäre Chapman noch am Leben gewesen,
so vermerkte der Richter, hätte er mindestens zehn Jahre Gefängnis
bekommen.
Zurück in den Juli 1989: die Familie Chapman entband Fred
Bushell von allen Ämtern, gleichzeitig trennte man sich von Team-Manager
Peter Warr.
Warr hatte mit brillanten Strategien nach Chapmans Tod versucht das schon legendär
gewordene Lotus-Team weiterzuführen. Er hatte den französischen Designer
Gerard Ducarouge an Land gezogen, er liess Nigel Mansell, mit dem er nicht klar
kam, wegen Ayrton Senna ziehen. Lotus wurde zum Pionier der computergesteuerten
Radaufhängung, die aber so komplex war, dass nicht einmal Senna daraus
einen grossen Nutzen ziehen konnte.
Die Nutzen-Kosten Rechnung wurde rot und röter.
Lotus verlor Senna an McLaren und die Karte Nelson Piquet hat dann auch nicht
gestochen, weil Ducarouge keine Design-Wunder vollbrachte.
Lotus war nicht im Stande für die Honda-Motoren ein adäquates Chassis
zu bauen. Womit man auch Honda verlor.
Lotus trennte sich von Ducarouge und holte sich Frank Dernie von Williams. Peter
Warr liess bei Tickford einen 5-Ventil Zylinderkopf für den Judd-Motor
entwickeln. Das Projekt verschlang Unsummen und war trotzdem ein Fehlschlag.
Warr schied aus, Piquet ging zu Benetton, Tony Rudd wurde zum Team-Direktor
befördert.
Lotus hatte kein Entwicklungs-Budget mehr. Die Zusammenarbeit mit Lamborghini
verlief chaotisch.
Bis Ende Mai 1990 hatte sich General Motors Bedenkzeit erbeten, ob man mit Lotus
in die Formel 1 einsteigt.
Jackie Stewart erzählte, er habe 1989 das Lotus-Team kaufen wollen, um
5 Millionen Dollar. Aber letztlich hat er doch nicht zugegriffen. Aber auch
GM war nicht geneigt, das Zukunfts-Konzept von Tony Rudd zu subventionieren.
Lotus siechte 1990 mit einem Budget, das rund 15 Millionen Dollar ausmachte,
dahin. Das war ein Drittel des Williams-Budget. Allein die Leasing-Kosten für
die Lamborghini-Motoren beliefen sich auf 3 Millionen Dollar. Damals war das
viel, verglichen mit heutigen Kosten sind das freilich Peanuts.
Beim Ungarn-Grand Prix verabschiedete sich Hauptsponsor Camel von Lotus.
1990 wurde Lotus immer wieder von technischen Defekten heimgesucht.
Im Dezember 1990 übernahm der Australier Peter Collins bei Lotus das Kommando.
Er war 1979 bis 1982 bereits ein Mitarbeiter von Chapman gewesen.
Der Ex-Renfahrer und Sponsorship Guru Guy Edwars stellte im Laufe der letzten
Jahre zwar rund 50 Millionen Pfund auf, doch das Fass hatte keinen Boden. Als
letzter Ausweg erschien Landhurst Leasing, wo der Kredit-Hai Ted Bull das Überleben
zu einer ruinösen Verzinsung offerierte. Lotus lieferte sich damit ans
Messer.
Lotus 22 1962
Anfang 1994 hiess es, Lotus habe 6 Millionen Pfund Schulden.
Als 500.000 Pfund für Cosworth laut einem Gerichtsbeschluss innerhalb von
60 Tagen fällig wurden, war die Lage prekär.
Am Tag nach Monza meldete Lotus Konkurs an, damit das Gericht einen Verwalter
einsetzt und man sich drei Monate lang die Gläubiger vom Hals halten konnte.
Tom Walkinshaw kaufte Johnny Herbert aus seinem Lotus-Vertrag heraus.
Peter Collins simulierte unüberbietbaren Optimismus: «Wir können
und werden überleben.»
Im Oktober wurde das Team an David Hunt, dem Bruder von Ex-Weltmeister James
Hunt verkauft, Mika Salo sollte Johnny Herbert ersetzen. Im Dezember wurde die
Arbeit an einem neuen Auto eingestellt, die Belegschaft freigesetzt.
Doch David Hunt konnte Lotus nicht mehr wiederbeleben.
Im Februar 1995 kam das Ende.
Lotus 24 Climax 1962
Chapmans Sohn Clive führt heute als Managing Director die Firma Classic
Team Lotus Ltd., mit Sitz in Ketterigham Hall. Im Hethel Industrial Estate gibt
es eine Werkstatt. Classic Team Lotus befasst sich mit der Restauration und
dem Handel von Lotus-Rennwagen. Man organisiert Lotus-Treffen und Führungen
und lässt den Mythos weiterleben.