Der Saisonauftakt ist gelaufen, die ersten Fragen zur „neuen“ Formel 1 beantwortet - doch die Spannung, wie sich die neuen Reifenregeln auswirken werden, bleibt. Die Michelin-Rillenslicks von Australien-Sieger Giancarlo Fisichella und dem drittplatzierten Fernando Alonso jedenfalls sahen nach der Zieldurchfahrt in Melbourne fast taufrisch aus. Ein gutes Indiz für ihre Haltbarkeit, doch noch kein Beweis. Denn Reifenverschleiß kann viele Gesichter haben, wie Michelin Motorsport-Direktor Pierre Dupasquier erklärt.
Im Lauf eines Grand Prix-Wochendes treten verschiedene Arten von Abnutzung auf, die auf unterschiedliche Weise die Leistung der Pneus beeinflussen. „Wenn sich Vorder- und Hinterräder ungleichmäßig abnutzen, verändert sich das Handling des Autos“, erklärt Michelin Motorsportdirektor Pierre Dupasquier einen grundlegenden Sachverhalt. „Verliert die Vorderachse an Grip, kann der Fahrer schlechter einlenken. Er muss früher bremsen und gefühlvoller fahren, um dem Untersteuern zu begegnen. In diesem Fall ist es wichtig, weniger Last auf die Vorderräder zu bringen, da sich der Effekt sonst noch verstärkt.“ Rundenzeit kosten nachlassende Vorderreifen dennoch.
Dasselbe gilt, wenn sich die Hinterräder stärker abnutzen als die vorderen Pneus und das Auto anfängt zu übersteuern. „Besonders beim Herausbeschleunigen aus langsamen Kurven muss der Fahrer vorsichtiger mit dem Gas umgehen, um die Reifen nicht zu überfordern“, so Dupasquier. „Natürlich spielt das Chassis-Set-up ein wichtige Rolle. In dieser Saison wird es wichtiger denn je sein, die aerodynamische Balance auf die steiferen Konstruktionen und Reifenmischungen von Michelin anzupassen.“ Der entscheidende Faktor bleiben jedoch die Fahrer: Von ihrer Rennintelligenz hängt es ab, ob die Reifen ihre Leistung über die gesamte Renndistanz aufrecht erhalten.“
Grundsätzlich gibt es drei Formen der Reifenabnutzung, die Dupasquier folgendermaßen beschreibt:
Blasenbildung
„Die Blasenbildung wird durch einen Temperaturanstieg an bestimmten
Punkten des Reifens verursacht - meist durch eine Kombination von starker
Beschleunigung und hoher Fliehkraft in Kurven, die sowohl vertikal als auch
lateral wirkt. Die gut sichtbaren Blasen entstehen auf der Oberfläche
des Reifens, wo sich überhitzter Gummi abgelöst hat. Zunächst
wirkt sich dies kaum auf die Rundenzeiten aus. Aber wenn die Hinterräder
- an denen dieses Phänomen am häufigsten auftritt - anfangen zu
rutschen, überhitzen sie noch stärker und lassen dramatisch nach.“
„Obwohl sich die Lauffläche schnell erhitzen kann, hat Gummi natürliche
isolierende Eigenschaften, die das Ansteigen der Temperatur unter der Oberfläche
verlangsamen. Sobald aber das Innere des Reifens überhitzt, wirft dieser
schneller Blasen und der Zustand der Lauffläche verschlechtert sich rapide.
Wenn sich der Reifen kurz nach der Zieldurchfahrt dem Ende seiner natürlichen
Lebensdauer nähert, wissen wir, dass wir unsere Hausaufgaben ordentlich
gemacht haben“, wandelt der Michelin-Rennleiter einen berühmten
Spruch des Lotus-Konstrukteurs Colin Chapman ab.
Körnen (Graining)
„Das Körnen kann prinzipiell bei jeder Sorte Rennreifen auftreten,
die in der Formel 1 verwendeten Rillenreifen sind aber anfälliger für
diese Form der Abnutzung. Der Begriff &Mac226;Graining' wurde in Amerika
geprägt, wobei ich denke, dass man den Effekt besser als &Mac226;Abschälen'
beschreiben könnte.“
„Beim Körnen löst sich eine feine Gummischicht von der Lauffläche und lagert sich als dünner Wulst auf der Oberfläche des Reifens ab. Das geschieht oft, wenn der Pneu hohe seitliche Lasten aufnehmen muss. Als Folge des Grainings beginnt das Auto zu untersteuern. Normalerweise stabilisiert sich der Zustand des Reifens aber nach wenigen Runden, wenn der überflüssige Gummi durch den normalen Abnutzungsprozess wieder abgefahren wird. Auf manchen Rennstrecken, besonders solchen, auf denen man häufig aus langsamen Kurven stark beschleunigen muss, sind auch die Hinterräder von diesem Phänomen betroffen.“
Lineare Abnutzung
„In diesem Fall nutzen sich Vorder- und Hinterräder durch den normalen
Abrieb gleichmäßig ab. Der Gripverlust bleibt von Runde zu Runde
konstant, die Balance des Chassis verändert sich nicht. Geschieht die
Abnutzung linear und bleiben die Reifen konstant, können sich die Rundenzeiten
eines Autos im Lauf des Rennens sogar verbessern - ein Ergebnis des durch
Benzinverbrauch leichter werdenden Wagens.“
Zahlen, Daten, Fakten:
150.000 Umdrehungen absolviert ein Reifen während eines Formel 1-Rennens.
Bei Höchstgeschwindigkeit dreht sich das Rad 50 Mal pro Sekunde.
100.000 Kilometer legten die Michelin-Teams 2004 bei Testfahrten zurück.
30.000 Formel 1-Reifen produziert Michelin im Laufe eines Jahres.
600 kg und mehr pro Reifen kann - abhängig vom Set-up des Autos - die
vertikale Radlast erreichen, wenn der aerodynamische Abtrieb voll zum Tragen
kommt.
300 km + x beträgt die minimale Lebenserwartung eines Reifen nach den
neuen Regeln.
250 verschiedene Entwicklungsideen werteten die Michelin-Techniker vor der
Saison 2005 aus.
150 verschiedene Materialien sind in einem Formel 1-Reifen enthalten. Er besteht
unter anderem aus Gummi (natürlich und synthetisch), Styrol-Butadien
(für den Grip) und Polybutadien (für die Haltbarkeit). Außerdem
sind Textilfasern wie Nylon oder Polyester, Kunstharz, Schwefel, Wachs und
Öl in den Reifen eingearbeitet.
100°C beträgt das mittlere Temperaturfenster eines Trockenreifens.
Er erzielt seine besten Leistungen bei einer Laufflächen-Temperatur zwischen
90°C und 110°C.
45 Liter Wasser verdrängt ein Vorderreifen mit einer Breite von 270 Millimetern
pro Sekunde bei 200 km/h.
36 Liter Wasser verdrängt ein Vorderreifen mit einer Breite von 270 Millimetern
pro Sekunde bei 160 km/h.
30°C Weil der Streckenbelag bei feuchten Bedingungen kühler ist,
liegt auch das optimale Arbeitsfenster eines Regenreifens niedriger als bei
seinem Gegenstück für trockenen Asphalt - normalerweise bei 30°C
bis 50°C.
25 Tonnen beträgt das Gewicht der Michelin-Container (inklusive Reifen
und dazugehörigem Equipment) auf Flugreisen zu Grands Prix außerhalb
Europas.
12 kg beträgt das Gewicht eines Michelin Formel 1-Hinterrades
10 kg beträgt das Gewicht eines Michelin Formel 1-Vorderrades.
4 G Auf einer Strecke wie Barcelona liegen die Beschleunigungskräfte,
die der Reifen aufnehmen muss, in Kurven bei 4 G und beim Bremsen um 4,5 G.
In diesem Fall zerrt das 4,5-Fache des normalen Gewichts an Kopf und Helm
des Fahrers.
1,2-1,3 bar beträgt der mittlere Luftdruck eines Formel 1-Reifens. Der
Druck liegt niedriger als bei Straßenreifen, um die Lauffläche
des Reifens beim Beschleunigen zu maximieren und somit mehr Traktion zu erreichen.
1,2 Tonnen In schnellen Kurven ist ein Reifen in der Lage, 1,2 Tonnen seitliche
Kräfte zu kompensieren, um die Zentrifugalkraft auszugleichen.
0,002 s Wenn ein Einsitzer 300 km/h fährt, berührt jedes Teil der
Lauffläche des Reifens den Boden nur 0,002 Sekunden lang - und das alle
0,02 Sekunden.
Text & Fotos: Michelin