Das gravierend modifizierte Motoren-, Reifen- und Aerodynamik-Reglement sorgt für einschneidende technische Veränderungen, zahlreiche Top-Piloten haben das Team gewechselt. Die Karten also sind neu gemischt - gut genug, um das Kräfteverhältnis in der Formel 1 neu zu definieren?
Grand Prix-Fans können aufatmen: Die rennfreie Winterzeit neigt sich in
der Formel 1 ihrem Ende zu. Wenn am 5. März auf dem Albert Park Circuit
von Melbourne das erste Qualifying der Saison 2005 beginnt, dann schlägt
zugleich für alle Beteiligte die Stunde der Wahrheit: Erstmals in diesem
Jahr müssen Rennställe, Fahrer und Reifenhersteller ihre wahre Leistungsfähigkeit
unter vergleichbaren Bedingungen unter Beweis stellen - ein spannender Moment,
der zugleich Indizien für den weiteren Verlauf der Weltmeisterschaft liefert.
Dabei wartet die Formel 1-Saison 2005 mit so umfassenden Neuerungen auf wie seit 1988, dem Beginn der turbofreien Zehnzylinder-Ära, nicht mehr. Beispiel Rennreifen: Fortan dürfen die Pneus während der Grand Prix nicht mehr bei den Tankstopps gewechselt werden. Jeder Fahrer muss mit einem Satz Reifen das Qualifying und das komplette Rennen bestreiten - also eine Distanz von rund 340 Kilometer. Eine Reglementsänderung, die nicht nur Michelin und seinen Wettbewerber, sondern auch die Fahrer und Teams vor große Herausforderungen stellen. „Es wird von entscheidender Bedeutung sein, das Auto so abzustimmen, dass es mit einem Satz Reifen die gesamte Grand Prix-Distanz zurücklegen kann“, mahnt Pierre Dupasquier, der Motorsport-Direktor von Michelin. „Auf den Piloten lastet eine zusätzliche Verantwortung, denn unterschiedliche Setups und abweichende Fahrstile können sich stark auf den Reifenverschleiss auswirken. Gemeinsam mit ihren Renningenieuren müssen sie sich Gedanken machen, wie sie die Pneus schonen und zugleich ihr Potenzial voll ausschöpfen können.“
Renault F1-Chefinenieur Pat Symonds vertraut auf die
französischen Rennpneus
Wer seine Hausaufgaben am besten gelöst hat, dies wird frühestens
der Große Preis von Australien zeigen. „Michelin hat einen guten
Job gemacht“, ist sich jedoch Pat Symonds sicher, der Chefingenieur des
Renault F1-Teams. „Wir können mit unseren Reifen problemlos komplette
Renndistanzen zurücklegen. Durch die langlebigeren Pneus haben wir nicht
so viel bei den Rundenzeiten eingebüßt wie gedacht.“
Auch die Motorenhersteller sehen sich von den neuen Regularien
gefordert: Fortan müssen die extrem hochdrehenden Dreiliter-Zehnzylinder
nicht nur ein Grand Prix-Wochenende halten, sondern zwei. Dies entspricht einer
Verlängerung ihrer Laufleistung auf mehr als 1.000 Kilometer. Radikale
Einschnitte bei der Aerodynamik sorgen zudem für eine Reduzierung des Abtriebs
um 25 bis 30 Prozent - ein Verlust, den die meisten Teams durch intensive Arbeit
im Windkanal nach eigenen Angaben bis zum Saisonauftakt bereits um 50 Prozent
wieder egalisiert haben.
Nach Bahrain und China gehört auch die Türkei zu den Formel 1-Gastgebern
Bereits 2004 gingen die Formel 1-Boliden bei 18 Grand Prix an den Start. In
dieser Saison kommt ein weiteres Rennen hinzu: der Große Preis der Türkei,
der erstmals am 21. August ausgetragen wird. Der 5,38 Kilometer lange „Kurtkoy
International Circuit“ liegt im asiatischen Teil vor den Toren der Hauptstadt
Istanbul und besitzt Tribünenplätze für 76.000 Zuschauer. Das
Layout stammt von dem in aller Welt geschätzten Streckendesigner Hermann
Tilke aus Aachen, der auch die Pisten in Malaysia, Bahrain und China entwarf
und gebaut hat. Als typischer „Tilke-Kurs“ verfügt die Piste
über einen interessanten Mix von Geraden, schnellen und mittelschnellen
Kurven sowie engen Haarnadelkurven, die zum Überholen einladen. Die Streckenbetreiber
versprechen gar einen Kurs, der so spektakulär sein soll wie Spa-Francorchamps
und so übersichtlich wie der Hungaroring. Als dritter Kurs neben Interlagos
und Imola wird das neue „Istanbul Otodrom" gegen den Uhrzeigersinn
befahren.
Ab 2005 vertrauen sieben Rennställe auf Pneus von Michelin
Bemerkenswerte Neuheit aus Sicht von Michelin: Der Reifenhersteller aus Clermont-Ferrand
tritt in der neuen Saison nicht nur als Partner der Werksteams BAR-Honda, Renault
F1, BMW WilliamsF1, McLaren-Mercedes und Toyota an, sondern darf neben Red Bull
Racing - vormals Jaguar - auch den Rennstall von Peter Sauber als Kunden begrüßen.
„Ich war mir sicher, dass die Pneus von Michelin schneller sind“,
begründete der Teameigner den Wechsel seines Ausrüsters, der nicht
nur für viele Fans überraschend kam, im Gespräch mit der englischen
Fachzeitschrift autosport. „Eine Vermutung, die sich in unserem Fall bereits
bei den ersten Testfahrten bestätigt hat.“
Ein Experiment, das vor Jahresfrist auch BAR-Honda riskiert hat. Nach seiner
ersten Saison auf Rennpneus von Michelin kann der britisch-japanische Rennstall
zufrieden zurückblicken: Die Stammfahrer Jenson Button und Takuma Sato
errangen nicht weniger als 119 WM-Punkte - mehr, als dieses Team in seiner fünfjährigen
Formel 1-Geschichte zuvor zusammen gesammelt hat und genug für den zweiten
Rang in der Konstrukteurs-Meisterschaft. Zugleich verbesserte sich BAR-Honda
im Vergleich der schnellsten Rennrunden von 2003 auf 2004 um 3,15 Sekunden -
die Scuderia Ferrari, die das vergangenen Formel 1-Jahr klar dominieren konnte,
fuhr im Durchschnitt nur um 2,65 Sekunden schneller.
Das Fahrer-Karussel drehte sich heftig
Viel neue Konstellationen erwarten die Formel 1-Fans auch hinsichtlich der Fahrer-Besetzung:
Lediglich zwei Teams vertrauen für 2005 auf jenes Piloten-Duo, mit dem
sie auch in die vergangene Saison gestartet sind - Ferrari und BAR-Honda. Ansonsten
drehte das Fahrer-Karussel so manche Sonderrunde. Michelin-Partner BMW WilliamsF1
zum Beispiel begrüßt mit dem Australier Mark Webber und Nick Heidfeld
aus Mönchengladbach gleich zwei neue Renn-Chauffeure. Der Deutsche setzte
sich dabei in einem ausführlichen Auswahlverfahren gegen den Brasilianer
Antonio Pizzonia durch und besitzt damit zum ersten Mal in seiner sechsjährigen
Formel 1-Karriere ein konkurrenzfähiges Auto, mit dem er um Siege und den
WM-Titel kämpfen kann.
Heidfeld übernimmt damit das Cockpit von seinem Landsmann Ralf Schumacher, der fortan an der Seite des bekannt schnellen Italieners Jarno Trulli in den Farben von Toyota antritt. Das in Köln beheimatete Team stellte seine enormen Ressourcen bereits unter Beweis: Vor dem Auftaktrennen erhielt der von Grund auf neu entwickelte Toyota TF105 eine nochmal komplett überarbeitete Aerodynamik, die - so Schumacher - deutlich mehr Abtrieb entwickelt soll.
Mit „Feuer und Eis“ lässt sich das neue Fahrer-Duo von Michelin-Partner McLaren-Mercedes umschreiben: Der kühle Finne Kimi Räikkönen erhielt mit Juan Pablo Montoya einen Teamkollegen, der eher für sein heißblütiges südamerikanisches Temperament bekannt ist. Der Kolumbianer löste David Coulthard ab. Der Schotte nahm nach zehn Jahren am Steuer der Silberpfeile eine neue Herausforderung an und stellt sein geballtes Knowhow sowie seinen anerkannt schonungsvollen Umgang mit den Rennreifen von Michelin in den Dienst des neuen Rennstalls Red Bull Racing. Als Nummer-2-Pilot des ehemaligen Jaguar-Werksteams stehen gleich zwei Fahrer bereit: Christian Klien aus Österreich geht auf jeden Fall in Australien, Malaysia und Bahrain an den Start, soll sich aber im Laufe der Saison mit dem amtierenden Formel 3000-Meister Vitantonio Liuzzi aus Italien abwechseln.
Auf südländisches Talent vertraut auch Renault F1. Mit dem noch jungen Spanier Fernando Alonso und Rückkehrer Giancarlo Fisichella am Steuer des viel versprechenden neuen Renault R25 will Teamchef Flavio Briatore die Scuderia Ferrari herausfordern und im Kampf um den Konstrukteurs-Titel ein gewichtiges Wörtchen mitreden. Den Platz von Fisichella im Rennstall von Peter Sauber nimmt dafür ein ehemaliger Weltmeister ein, der die letzten drei Grand Prix 2004 noch für die französische Werks-Equipe am Volant drehte: Formel 1-Rückkehrer Jacques Villeneuve, der Champion von 1996. Ihm zur Seite steht mit Felipe Massa ein ebenfalls hochtalentierter Brasilianer.
Während Ferrari unverändert auf den nunmehr siebenfachen Weltmeister
Michael Schumacher sowie Rubens Barrichello setzt, vertrauen Minardi (Christijan
Albers / Patrick Friesacher) und das vom Stahlmagnaten Alexander Shnaider übernommene
Jordan-Team mit Tiago Monteiro und dem Inder Narain Karthikeyan jeweils auf
Formel 1-Neulinge
Qualifying-Modus radikal geändert
Einen Vorteil besitzen diese vier Debütanten: Sie müssen sich für
den neuen Zeitplan, der fortan die Grand Prix-Wochenenden bestimmt, nicht umgewöhnen.
Denn ab Melbourne 2005 gilt: Die Startaufstellung wird in einem zweigeteilten
Qualifying ermittelt, deren Zeiten addiert werden. Gehen die Piloten am Samstag
Nachmittag ab 13 Uhr mit wenig Treibstoff-Ballast auf die Strecke, so müssen
sie das zweite Zeittraining - das am Sonntag Morgen um zehn Uhr beginnt - mit
jener Tankfüllung bestreiten, mit der sie auch ins Rennen starten.
Der neue Zeitplan
Freitag
10.00 - 11.00 1. freies Training
14.00 - 15.00 2. freies Training
Samstag
9.00 - 9.45 3. freies Training
10.15 - 11.00 4. freies Training
13.00 Beginn 1. Qualifying
Sonntag
10.00 Beginn 2. Qualifying (1)
14.00 Rennstart (2)
Alle Angaben jeweils Ortszeit
(1) Ausnahmen: Malaysia und Türkei 11.00 Uhr; Bahrain und Japan 10.30 Uhr;
Kanada, USA und Großritannien 9 Uhr.
(2) Ausnahmen: Malaysia und Türkei 15.00 Uhr; Bahrain und Japan 14.30 Uhr;
Kanada, USA und Großbritannien 13 Uhr.